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BLM-Präsident Dr. Thorsten Schmiege will auch nicht von Amts wegen gegen Twitter (heute X) vorgehen. Seine Kollegen bei der MA HSH entschieden im Fall Google damals anders. (Foto: BLM)

Medienaufsicht

Eingriff in Diskurs: BLM leitet kein Verfahren gegen Twitter/X ein

Die Bayerische Landeszentrale für neue Medien (BLM) sieht keinen Anlass, ein medienrechtliches Verfahren gegen Twitter (heute X) wegen Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot im Medienstaatsvertrag einzuleiten. Das erklärte BLM-Präsident Dr. Thorsten Schmiege nach abschließender Prüfung des Falls gegenüber Cable!vision Europe. Im Kern geht es um die Frage, ob Twitter und der Pharmakonzern Biontech versucht haben, im Jahr 2020 eine öffentliche Debatte über Impfpatente zu unterbinden.

Mahnung des Deutschen Rats für Public Relations

Der Deutsche Rat für Public Relations (DRPR) hatte im August 2023 in der Angelegenheit eine Mahnung gegen Twitter und Biontech wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot des Deutschen Kommunikationskodex ausgesprochen (siehe Meldung: Griffen Twitter und Biontech in Diskurs über Impfen ein?). Biontech habe versucht, sich dem öffentlichen Diskurs im Rahmen des "People’s Vaccine Day" 2020 zu entziehen, indem der Pharmakonzern Twitter dazu veranlassen wollte, den eigenen Account in Erwartung einer "Online-Kampagne gegen Impfstoffhersteller" für zwei Tage durch Twitter "verstecken" zu lassen, um so kritische "Kommentare etc. unmöglich zu machen", begründete der DRPR seine Entscheidung unter Verweis auf Rechercheergebnisse. Dazu sei Biontech im Austausch mit Verantwortlichen bei Twitter unter anderem in Berlin gestanden, wie ein E-Mail-Verkehr belege.
 
Mit seiner Mahnung will der DRPR den Gemahnten und der Branche gegenüber anzeigen, dass er im konkreten Fall ein in der Tendenz schädliches Verhalten für die öffentliche Kommunikation und die freie Meinungsbildung durch Akteure des Berufsfelds erkenne und dazu aufrufen, solches Verhalten in der Zukunft zu unterlassen.
 
In einer vom DRPR zitierten Stellungnahme begründete Biontech die Inaktivierung des Accounts mit konkreten Sicherheitsbedenken und als Maßnahme im Rahmen der Cyber-Sicherheit.

BLM sieht keine Grundlage für Verfahren

"Das Diskriminierungsverbot in § 94 Medienstaatsvertrag (MStV) dient laut der amtlichen Begründung zum MStV dem Schutz der Anbieter- und Meinungsvielfalt, abgeleitet aus Artikel 5 Grundgesetz. Nach § 94 Absatz 3 Satz 1 MStV kann ein Verstoß von den Landesmedienanstalten nur auf Antrag eines betroffenen Anbieters journalistisch-redaktioneller Inhalte verfolgt werden. Dieser liegt nicht vor", betonte BLM-Präsident Dr. Schmiege in seiner Stellungnahme.
 
"Vorliegend stellt sich bereits die Frage, ob der mittlerweile schwer nachweisbare Sachverhalt überhaupt eine Diskriminierung darstellen könnte. So hat der Deutsche Rat für Public Relations (DRPR) seinerzeit nur die Transparenz der vermeintlichen Absprache gerügt. Adressat der Rüge war vor allem das Unternehmen Biontech selbst, dem vorgeworfen wurde, sich dadurch einer öffentlichen Debatte entziehen zu wollen. Letzteres ist durch den MStV nicht sanktioniert", erklärte Schmiege.
 
"Eine Diskriminierung nach MStV läge nur dann vor, "wenn ohne sachlich gerechtfertigten Grund von den nach § 93 Abs. 1 bis 3 zu veröffentlichenden Kriterien zugunsten oder zulasten eines bestimmten Angebots systematisch abgewichen wird oder diese Kriterien Angebote unmittelbar oder mittelbar unbillig systematisch behindern" (§ 94 Abs. 2 MStV). Zudem müsste der Verstoß offensichtlich sein, um von der BLM verfolgt werden zu können (§ 94 Abs. 3 Satz 2 MStV). Das ist auf Grundlage des geschilderten Sachverhalts nicht erkennbar. Somit fehlt die Grundlage für ein aufsichtliches Verfahren durch die BLM", fasst Schmiege das Ergebnis der Prüfung zusammen.

Auch kein Vorgehen von Amts wegen

Die BLM sieht auch keinen Anlass, von Amts wegen gegen Twitter vorzugehen, was nach § 94 Absatz 3 Satz 2 MStV "in offensichtlichen Fällen" möglich wäre. "Aus Sicht der Landeszentrale liegen keine Anhaltspunkte für eine Diskriminierung seitens Twitter vor, diese wäre in jedem Fall nicht offensichtlich; daher gibt es keinen Anlass und auch keine rechtliche Grundlage, ein Verfahren von Amts wegen einzuleiten", erklärte eine BLM-Sprecherin gegenüber Cable!vision Europe. Zudem habe sich die Kritik des DRPR wegen fehlender Transparenz in erster Linie an das Unternehmen Biontech gerichtet, das nicht der Regulierung durch die Medienanstalten unterliege.
 
In einem ähnlichen Fall hatte die Medienanstalt Hamburg/Schleswig-Holstein (MA HSH) anders entschieden: Sie leitete Ende 2020 von Amts wegen ein medienrechtliches Verfahren gegen Google wegen einer Kooperation mit dem Bundesministerium für Gesundheit ein, die vorsah, dass Inhalte des vom Ministerium herausgegebenen Internetportals gesund.bund.de bei krankheitsbezogenen Suchbegriffen in der Google-Suche bevorzugt präsentiert werden. Der Vorwurf: Andere journalistisch-redaktionelle Anbieter von Inhalten aus dem Themenbereich Gesundheit könnten durch den Eingriff in medienrechtlich nicht zulässiger Weise diskriminiert werden. Die Kooperation wurde anschließend gerichtlich untersagt.
 
Autor: Dr. Jörn Krieger